Jesus, ein "Verrückter"

von Pfarrer Christoph Uttenreuther
In einem Portal der Abteikirche St. Gilles du Gard in Südfrankreich befindet sich dieses Steinrelief aus dem 12. Jahrhundert. Es zeigt eine Szene des Gründonnerstags: Jesus kniet vor seinem Jünger Petrus und wäscht ihm die Füße. Petrus aber tippt sich an die Stirn. Es sieht aus, als zeige er Jesus den Vogel: „Du spinnst, du bist verrückt!“
Nur Bibelfeste wissen, was diese Geste bedeutet: „Wasch mir auch den Kopf!“ Denn so steht es im Evangelium. Erst wollte Petrus sich die Füße nicht waschen lassen. Jesus entgegnet ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keine Gemeinschaft mit mir!“ Nun möchte er von Kopf bis Fuß gereinigt werden.
Doch auch die andere Deutung hat ihre Berechtigung: Was Jesus tut, ist in der Tat ver-rückt. Er ver-rückt die normale Ordnung. Der Meister und Herr seiner Jünger übernimmt den niedrigsten Sklavendienst. Dass Petrus sich dagegen wehrt, ist sicher seinem großen Respekt vor Jesus geschuldet. Vielleicht aber gibt es noch einen anderen Grund: Petrus ist unter den Jüngern der erste. Er steht in der Ordnung weit oben. Ob er deshalb nicht möchte, dass diese verrückt wird?
Jesus hat den Seinen auch gesagt: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mk 10,41ff).
In der Nacht vor seinem Tod zeigt Jesus dies anschaulich und lässt es die Jünger spüren. Er ist für sie da. Selbst im Tod wird er für sie da sein – auch wenn sie das nicht verstehen, sondern für verrückt halten. Sein Dienst an den Menschen und sein Tod für die Menschen liegen auf einer Linie. Jesus sucht nicht Macht und handelt nicht von oben herab. Er nimmt den untersten Platz ein. Auf diesem Platz offenbart er Gottes Liebe und Gottes Vergebung. So rührt er an unser Herz, uns zu gewinnen.
Weil Gott so ist und so handelt, sollen die Großen und Starken den Kleinen und Schwachen dienen. Dies soll das Profil von Jesu Gemeinde bestimmen. Für mich gehört das zur Mitte der Botschaft Jesu und zu dem, was mich an ihr fasziniert. Trotzdem muss ich zugeben: Im Alltag sträube ich mich oft dagegen. Ich möchte nicht der Dumme sein, der sich von anderen ausnutzen lässt. Mit Blick auf das Relief höre ich Jesus zu mir sagen: „Tue auch was Verrücktes. Habe keine Angst zu kurz zu kommen. Sei auch einmal der Dumme. Dann stehst du auf meiner Seite.“
Wer auf Jesu Seite steht, steht auf Gottes Seite und kann so am Ende nicht verlieren.